Die Augen weit aufgerissen nach oben zum gestrengen Blick des Erziehungsberechtigten, der kleine Zeigefinder verlängert den gestreckten Arm und bohrt sich geradezu in den gerade noch geschätzten Spielkameraden: „DER HAT ANGEFANGEN!“ Wir kennen es alle. Auch uns hat es in Kindertagen Erleichterung verschafft, dem anderen alleine die Schuld in die Schuhe zu schieben für die wechselseitigen Rempeleien, an denen man sich auch beteiligt hatte.
Und wussten wir es nicht schon damals insgeheim: Mit diesem Satz kommen wir nicht durch. Die beiden Augen da oben haben uns schon längst durchschaut und als Mittäter ausgemacht. Aber versuchen wollten wir es auf jeden Fall.
Heute – gerade mal ein paar Jahrzehnte später - sind die erkennenden Augen da oben nicht mehr da, alles spielt sich auf Augenhöhe mit dem „Gegner“ ab. Und wir versuchen es immer und immer wieder. Nicht mehr so plump wie früher, wie verpacken es jetzt elegant: „Das kann man so nicht sehen weil … „, Sie irren in der Annahme, dass ….“ und ähnliches geht uns über die Lippen, aber tief im Innern sind wir davon überzeugt davon: „Der andere ist schuld!“
Die Konfliktforschung hat diesen tiefen Glauben als eines der wesentlichen Hindernisse erkannt, die Einigungen entgegenstehen. Denn es reicht nicht, dass der andere Schuld ist, je eskalierter der Konflikt ist, umso überzeugter sind wir, dass jeder noch so vorteilhafte Vorschlag der Gegenseite nichts anderes ist als eine hinterhältige Finte.
Ist dieses Kommunikationsniveau erreicht, wird es höchste Zeit, jemanden zu finden, der gut gemeinte Vorschläge in seine Worte verpackt und unbemerkt zur Gegenseite trägt, damit sie dort nicht als Vorschläge der Gegenseite erkannt werden. Oder jemanden, der unerschrocken die Parteien ermuntern, die wechselseitigen Vorwürfe doch einfach mal „rauszuhauen“, denn im Raum sind sie ja ohnehin. Oder der einen Blick dafür hat, wegen welchem Satz die Rempelei überhaupt losging.
All das tun wir als Mediatoren und Klärungshelfer in unseren Mediationen. Und freuen uns zu sehen, wie schnell die ausgestreckten Zeigefinder wieder in die Hosentasche wandern, um aus dieser ein Bonbon auch für den wieder geschätzten Kontrahenten herauszufischen.
Und für alle Fälle, in denen wir zurückfallen in die Zeiten langer nackter Zeigefinder gibt es alljährlich den 15. März den „Der-andere-ist-schuld-Feiertag!
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